Marlker Zeitung
Heike Kruschinski

Der Harlekin wird nicht müde

Herman van Veen bückt auf 20 Bühnenjahre zurück: „Bis hierher und weiter“

8 dez 1988

Er rührt die Herzen der Menschen immer noch. Wie kitschig das klingt, doch es ist schwer, bei Herman van Veen nicht pathetisch zu werden. Die alten, verblichenen Vokabeln scheinen die einzig - annähernd - passenden.


Herman van Veen ist ein Phänomen. Seit über 20 Jahren steht er auf Bühnen und singt und spielt und tanzt. „Bis hierher“ zieht er Bilanz „und weiter“: mit einer Mischung aus Teilen alter Programme und einigen neuen Liedern zieht der Harlekin aus Holland derzeit durch die Bundesrepublik. In zweimal ausverkauftem Haus war er in der vergangenen Woche - mit Schellenkranzzylinder, Geige und Zauberschnipseln - in der Westfalenhalle zu Gast.

Der Sänger. Der Clown. Der Poet. Der Faxenmacher. Herman van Veen ist alles und in allem großartig. Die klare, helle Stimme, eigentlich für Choräle bestimmt, quakt ungeniert Kinderlieder und zelebriert im nächsten Augenblick die schönsten Liebeslieder, die je geschrieben wurden.
Weinen und Lachen liegen bei Herman van Veen untrennbar beieinander. Der Wirbelwind, der in seinem riesigen, großkarierten Mantel über die Bühne fegt, steht im nächsten Moment regungslos vor dem Mikrophon und singt „Ich hab’ ein zärtliches Gefühl“.

Von den Linken, wird van Veen immer wieder vorgeworfen, er sei unpolitisch. Das stimmt insofern, als daß dem 43jährigen Partei- und Tagespolitik femliegen. Vielmehr propagiert er eine Politik der Humanität, bei der die Achtung und die Würde des Menschen das höchste Gesetz ist. Mehr als Anklage sind van Veens Lieder positive Gegenwelten, die keineswegs in fernen Sphären sich bewegen, sondern leb-bar sind, hier und jetzt. Es ist eine leise Melodie, die sich im wüsten Geschrei finden läßt.

Nein, Überraschungen gibt es keine in dem Programm „Bis hierher und weiter“. Und doch: Am Ende, das Saallicht ist schon vor einer Stunde wieder angeknipst worden, stehen immer noch Hunderte klatschend vor der Bühne. Und van Veen, er kann einfach nicht aufhören, auch nach über drei Stunden fällt es ihm schwer, wenn er, müde und begeistert zugleich, in die Gesichter seiner Zuschauerinnen und Zuschauer blickt. „Ein Lied kann die Welt nicht verändern“, schrieb er in seiner Biographie über den großen französischen Liedermacher Jacques Brel. Aber: „Ein Lied verändert das Timbre der Gesellschaft.“ Was er damit meint, läßt sich bei seinen Konzerten erleben. Zärtlichkeit, Traurigkeit - die Wehrlosigkeit der Gefühle, die van Veen verteidigt, darf sein, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Saal und vielleicht ein Stück darüber hinaus.



Heike Kruschinski